Dienstag, 27. Mai 2003 – Süddeutsche Zeitung
Können Tanzschritte unmittelbar zu Musik werden? Aber ja doch! Ania Losinger jedenfalls gab im Ulmer Zelt eine ebenso einfache wie überraschende Antwort auf diese Frage. Sie tanzt auf ihrem Instrument, das sie “Xala” nennt, und entwickelt so eine ganz spezielle Fussmusik, die einem überdimensionalen Xylophon mit 24 gestimmten Holzplatten entspringt.
Ihre Performance ist ein überzeugendes künstlerisches Projekt. Die Tänzerin greift ansatzweise auf Flamenco-Elemente zurück. Allerdings lässt sie sie auch leicht wieder fahren, wenn sie der musikalischen und tänzerischen Entwicklung im Wege stehen. Ania Losingers Flamenco ist subtil und poetisch. Dabei löst sie sich vom Klischee, das diesem Tanz erotische Anlockung und leidenschaftliche Abweisung zuschreibt. So entsteht eine Körper- und Schrittperformance, die sich gänzlich auf den musikalischen Aspekt ihrer Tanzkunst konzentriert.
Schmucklos, in schwarzer Kleidung, von dezentem Bühnenlicht umgeben, setzt sie ihre ersten Schritte auf dem tönenden Boden. Der Klang gleicht einem hölzernen Tropfen, gefolgt von Schleifgeräuschen – und schon prasseln die Füsse auf den Boden nieder. Sie rattern wie eine mechanisch gesteuerte Maschine. Erneute Schleifer intonieren einen Akkord, in kurzen Tönen angeschlagen, die rasch aufeinender folgen. Aus repetitiven Mustern, der Minimal Music entlehnt, entwickeln sich komplexe Figuren und furiose Rhythmusfolgen. Die Anhäufung der Klänge verdichtet sich zu einem beeindruckend dynamischen Klangbild. Mit zwei Stöcken in der Hand entwickelt sie Stimmungen, die in der Ferne verwehen. Die Füsse setzen unerwartete musikalische Elemente in Bewegung, sorgen für Irritationen. Durch rasende Schrittfolgen, die völlig mit dem eleganten, ruhigen Körperausdruck kontrastieren. Auf ironische Weise erteilt Ania Losinger so jeder Schablone eine Absage.
Dabei überrascht sie immer wieder. Auf dem Bauch liegend, beklopft sie mehrere Platten mit Schlegeln und Hacken. Dies ist der Auftakt zu einem musikalisch-akrobatischen Intermezzo. Hals über Kopf erreicht sie die Platten hinter ihrem Kopf und spielt mit der Spitze ihrer Füsse, begleitet vom Rhythmus zweier Holzklappern, die einfache Figuren polyrhythmisch unterlegen. …Eine Xala lässt sich auch mit einem Stuhl bespielen. Grossartig, wie hier Waschbrett-ähnliche Geräusche entstehen und eine klangliche Allianz mit dem Fussspiel der Tänzerin bilden. Gegen Ende dieser konzertanten Körperperformance wird der Fetisch des Flamence (der Schuh) zum blanken Instrument an Händen und Füssen. Bei einer von drei Zugaben musiziert Losinger mit vier Schuhen auf allen Vieren.
Hilde Steinfurth